Würzburg/Hamburg (POW) Vor rund zwei Monaten, am 24. Februar 2022, hat die russische Armee die Ukraine angegriffen. Unzählige Menschen sind geflohen, auch im Bistum Würzburg wurden und werden Flüchtlinge aufgenommen. Wie konnte es so weit kommen? Und darf man Waffen an die Ukraine liefern? Darüber hat sich Bischof Dr. Franz Jung auf dem Social-Media-Kanal Instagram @bistumwuerzburg am Dienstag, 26. April, mit Professor Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven vom Hamburger Institut für Theologie und Frieden (ITHF) ausgetauscht. Die wissenschaftliche Forschungseinrichtung der Katholischen Kirche in Trägerschaft der Katholischen Militärseelsorge dient der ethischen Auseinandersetzung mit Fragen des Friedens und der Friedensgefährdungen.
War der Westen im Blick auf Russland naiv? Laut Justenhoven habe es in den 1990er Jahren einen „begründeten Optimismus“ für einen Wandel in Russland gegeben. Zum einen habe Michail Gorbatschow 1989 eine „völlig neue Perspektive“ eröffnet – das „gemeinsame Haus Europa“. Zum anderen habe sich das Land unter Boris Jelzin zunächst auf einen Weg gemacht, der zumindest in Richtung Demokratie gedeutet habe. Auch der junge Putin habe diese Linie aufgenommen. „Mir ist noch völlig schleierhaft, wie der junge und der alte Putin zusammenpassen. Da ist etwas passiert, was wir offenkundig unterschätzt oder nicht mitbekommen haben.“ Jedenfalls habe Deutschland die Bedeutung der militärischen Verteidigung in den vergangenen 30 Jahren „deutlich geringer“ eingeschätzt als man das aus heutiger Sicht hätte tun sollen, erklärte Justenhoven. „Aber wir waren uns immer darüber einig, dass man Geld, das für die Rüstung bereitgestellt wird, gut begründen muss.“ Denn dieses Geld fehle an anderen Stellen, etwa im sozialen Ausgleich oder in der Entwicklungsarbeit. Es sei richtig, nun ein Stück weit gegenzusteuern – „so viel, wie erforderlich, aber auch nicht mehr“.
„Darf man Waffen liefern? Darf man schwere Waffen liefern? Oder heizt man den Konflikt noch mehr an?“ Diese Fragen, die derzeit stark diskutiert werden, lagen auch Bischof Jung auf dem Herzen. Die UN-Vollversammlung habe den russischen Angriff auf die Ukraine mit 141 gegen fünf Stimmen verurteilt, erklärte Justenhoven: „Damit wurde weltöffentlich festgestellt, wer hier der Aggressor ist.“ Das sei wichtig, weil die Ukraine dadurch ihr Verteidigungsrecht wahrnehmen könne. „Ich vertrete durchaus die Position, dass Deutschland die Waffen liefern sollte, die die Ukraine braucht, um sich angemessen zu verteidigen.“ Die Zivilbevölkerung der Ukraine sei in den besetzten Gebieten schwersten Repressionen ausgesetzt, Menschen würden verschleppt und getötet: „Das ist ein gravierendes Argument.“ Allerdings müsse die Bundesregierung prüfen, worauf sie verzichten könne, ohne die eigene Sicherheit zu gefährden, und es gelte, eine Eskalation zu verhindern. „Wo genau die Grenze liegt, kann ich als Ethiker nicht beantworten. Das ist eine Frage politischer Klugheit.“
Offensichtlich habe Putin seine selbst gesteckten Kriegsziele nicht erreicht, sagte Justenhoven. „Das ist dem unfassbaren Mut des ukrainischen Volkes, der Regierung und der Armee zu verdanken. Es ist zu hoffen und wünschen, dass es der Ukraine gelingt zu verhindern, dass ein Teil des Volkes unter russische Herrschaft gerät.“ Justenhoven sprach auch von Widerspruch in Teilen der orthodoxen Kirche sowie von einer Unwilligkeit in Teilen der russischen Armee, gegen die Ukraine Krieg zu führen. Mittlerweile zeichne sich ab, dass die Sanktionen des Westens dazu führen, dass Russland politisch und ökonomisch auf eine gewisse Zeit isoliert sei. „Aber wir werden über Jahre mit diesem oder einem vergleichbaren Regime im Kreml leben müssen“, gab der Professor zu bedenken. Es werde – hoffentlich bald – einen politischen Kompromiss geben müssen, etwa in Form eines „kalten Friedens“. Zugleich dürfe man nicht vergessen, dass Russland eine Atommacht sei.
„Gibt es eine Verpflichtung der Völkergemeinschaft, auch militärisch zu intervenieren?“, wollte Bischof Jung wissen und führte als Beispiele die Kriegsverbrechen im Kosovo, Ruanda und nun auch in Butscha an. Der Internationale Strafgerichtshof führe heute schon Beweissicherungsverfahren für eine Aufarbeitung dieser Kriegsverbrechen durch, entgegnete Justenhoven. Das sei ein wichtiges Signal: „Alle, die sich an solchen schwersten Verbrechen beteiligen, müssen damit rechnen, dass sie irgendwann vor einem internationalen oder unter Umständen nationalen Gericht landen werden.“ Es „dreht einem den Magen um“, mitansehen zu müssen, wie man Menschen in den besetzten Gebieten wie Mariupol nicht helfen könne. Doch eine internationale Intervention würde zu einer Eskalation weit über die Ukraine hinaus führen, und damit wäre den Menschen in der Ukraine nicht geholfen, argumentierte Justenhoven. „Es gibt Fälle, in denen man sagen muss: Wir können hier nicht helfen.“
Bischof Jung dankte für die differenzierte Einschätzung aus der Sicht der katholischen Ethik. „Der erste Zuspruch des Auferstandenen ist der Friede. Hoffen wir, dass die Tage der Osterzeit auch Tage sind, in denen dem ukrainischen Volk, aber auch dem russischen Volk der Friede geschenkt wird.“
Das komplette, rund 30-minütige Gespräch kann im Internet auf dem YouTube-Kanal des Bistums Würzburg angesehen werden.
sti (POW)
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