Würzburg (POW) Menschen, die keine eigene Wohnung und auch sonst keinen Unterschlupf haben, sind gezwungen, auf der Straße zu leben. Mohamed S. (Name geändert) teilt dieses Schicksal. Kürzlich tauchte der 39-Jährige erstmals in der Kurzzeitübernachtung (KZÜ) der Christophorus-Gesellschaft in Würzburg auf. Er kam gerade aus Ostdeutschland. Aufgrund von Fremdenfeindlichkeit habe er sich dort nicht mehr sicher gefühlt, erzählt der in Deutschland geborene Sohn afrikanischer Eltern, heißt es in einer Mitteilung der Christophorus-Gesellschaft.
Mohamed S. hat sich sein Leben lang kümmerlich durchgeschlagen. In den vergangenen Wochen war seine Lage besonders prekär. Das Jobcenter hatte das Hartz-IV-Geld für den gesamten Monat Dezember an jene Einrichtung überwiesen, aus der Mohamed S. aufgrund fremdenfeindlicher Äußerungen geflohen war. Nun stand der Mann ohne einen einzigen Cent da. Michael Thiergärtner, der die KZÜ leitet, gewährte Mohamed S. unbürokratisch einen kleinen Geldbetrag aus dem Nothilfetopf der Würzburger Einrichtung. Gleichzeitig bemühte er sich darum, dass die Gelder von Ostdeutschland zurück nach Würzburg fließen. „Nun traf endlich der Scheck bei uns ein“, berichtet er.
Das Fernziel in der Obdachlosenhilfe ist die Wiedereingliederung der Betroffenen in die Gesellschaft. Nichts werde über die Köpfe der Klienten hinweg entschieden. Es gibt Wohnungslose, die ihre Ungebundenheit behalten wollen. Andere sehnen sich sehr nach einer Rückkehr ins normale Leben. Auch Marc H. (Name geändert) möchte wieder eine Wohnung haben. Der 25-Jährige kam nach Würzburg, weil er hier einen Job als Beikoch erhielt. Drei Wochen lang war er in einem Würzburger Lokal tätig. Nachts schlief er im Hostel. Weil das Lokal krisenbedingt schlecht lief, wurde Marc H. wieder entlassen. Er konnte das Quartier nicht mehr zahlen – und stand mit einem Mal auf der Straße.
Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit das Coronavirus in China aufgetaucht ist. In diesen zwei Jahren hat sich die Arbeit in der KZÜ laut Thiergärtner deutlich verändert. „Es kommen nur noch zwei Drittel der Übernachtungsgäste, die wir vor Corona hatten“, sagt der Sozialarbeiter. Der Anteil an psychisch auffälligen Menschen habe dagegen deutlich zugenommen und bringe besondere Herausforderungen mit sich: „Diese Männer sind aufgrund ihrer psychischen Problematik zum Beispiel oft nicht imstande, sich zu testen.“ Weiter falle auf, dass viele Männer, die bisher keine Gäste waren, in die Übernachtungsstelle kommen, weil sie aus verschiedenen Gründen plötzlich in Würzburg gestrandet sind.
Menschen, die prekär leben, sind besonders belastet. Extrem herausfordernd ist die aktuelle Situation für Männer, die in Armut leben und auch noch eine psychische Erkrankung haben. „Bei vielen droht sich die Krankheit zu verschlimmern“, sagt Thiergärtner. Er und sein Team versuchten alles, um die elementarsten Bedürfnisse der Männer zu decken, die in die KZÜ kommen. „Wir kümmern uns darum, dass sie ein warmes Bett haben, wir kümmern uns um ihre Körperhygiene und darum, dass sie etwas zu essen bekommen“, erzählt der Sozialarbeiter.
Daneben ist viel Bildschirmarbeit zu verrichten. „Wir stellen für unsere Klienten zum Beispiel Anträge auf Arbeitslosengeld 2“, schildert Thiergärtner. Diese Arbeit, also das Antragstellen für die Männer aus der Kurzzeitübernachtung, verschlinge aktuell viel mehr Zeit als vor der Coronakrise. Das liege unter anderem daran, dass das Jobcenter nach wie vor keine kurzfristigen Termine vergebe. Außerdem müsse viel Bürokratisches inzwischen online erledigt werden. Selbst an Testtermine komme man oft nur via Internet. Für einige Obdachlose stelle das eine kaum überwindbare Hürde dar.
Thiergärtner betont, dass Obdachlose aktuell auf viele Hemmnisse stießen. „Es ist nervenaufreibend für unsere Klienten, dass sich die Regeln ständig ändern“, sagt der KZÜ-Leiter. Eine Woche lang dürfen die Männer in Würzburg übernachten. Dann müssen sie weiterziehen. Viele wüssten nicht, was in der nächsten Herberge, die sie ansteuern, im Augenblick gelte. Sie wüssten daher auch nicht, ob sie die Anforderungen erfüllen und in der nächsten Nacht aufgenommen werden. Doch die Aufnahme ist für sie im Winter lebensnotwendig. Das Team der Würzburger Kurzzeitübernachtung tue alles, damit Obdachlose nicht im Freien übernachten müssen.
Seine freie Zeit mit etwas Sinnvollem auszufüllen, sei unter den aktuellen Bedingungen ebenfalls schwer. Viele der ehemals Obdachlosen, die ins Betreute Wohnen der Christophorus-Gesellschaft aufgenommen wurden, wollten gern arbeiten. Bisher seien sie oft in der Gastronomie untergekommen. Doch derzeit sinke der Bedarf nach neuen Kräften, da sich viele Menschen nicht mehr trauten, ins Restaurant zu gehen. Die Krise schlage sogar auf die Zeitarbeit durch, hat Thiergärtner erfahren: „Auch hier werden die Leute oft nur noch wochenweise beschäftigt.“ Die materielle Not jener, die sowieso kaum etwas haben, steige dadurch an.
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