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Impulse

Unterschiedlichste Autoren im Bistum Würzburg veröffentlichen regelmäßig spirituelle Texte in Tageszeitungen, im Internet oder in Druckwerken. Die Interpretationen der christlichen Botschaft bestärken im Glauben, im alltäglichen Leben und regen zum Nachdenken an. Einige dieser Texte stellen wir hier für Sie zusammen.

Gedanken zum Evangelium - 12. Sonntag im Jahreskreis

„Wir sind umgeben von einem Ozean aus Leid“

Schläft Jesus, während um ihn herum alles in Chaos und Angst versinkt? Das fragen sich nicht nur die Jünger im Evangelium. Schläft er, während in seinem Heimatland das Leid immer größer wird? Diese Frage ist zu einfach, sagt Abt Nikodemus Schnabel aus Jerusalem.

Evangelium

An jenem Tag, als es Abend geworden war, sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; und andere Boote begleiteten ihn. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm und die Wellen schlugen in das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große Furcht und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen.

Markusevangelium 4,35–41

Schäumend kräuseln sich die Wellen. Mit Schwung klatscht Wasser über die Reling, dahinter kauern zwei ältere Damen. Das Boot ist voll besetzt. Gefährlich schwankt es auf den Wellen. Dabei lag der See Stunden zuvor noch ganz friedlich da.

Zusammen mit einer deutschen Pilgergruppe gingen die beiden Damen an Bord. Ein übliches Angebot am See Gennesaret. Offene, flach auf dem Wasser liegende Boote fahren Pilgergruppen aus aller Welt hinaus. Hier an diesem Ort, an dem Jesus wirkte, kann man Messe feiern und das Evangelium vom Sturm auf dem See hören. Meist muss man sich den Sturm dabei vorstellen. Doch bei dieser Gruppe wurde er Wirklichkeit. „Wir hatten wirklich fast Todesangst“, erzählt eine der Damen später.

Unter anderem durch die steil ansteigenden Berge kann das Wetter am See Gennesaret schnell umschlagen. Dann kann sich der Wind zum Wirbelsturm entwickeln, wie es im Evangelium heißt. Einer, der den See kennt, ist Abt Nikodemus Schnabel. Seit 2003 lebt der Benediktiner in der Dormitio-Abtei in Jerusalem. In Tabgha, am Ufer des Sees Gennesaret, unterhalten Schnabel und seine Mitbrüder ein Priorat.

Er preist die Vorzüge der abendlichen Winde: „Hier herrscht oft eine unfassbare Hitze mit 40 Grad und großer Schwüle. Wenn am Nachmittag ein starker Wind vom See her weht, ist das eine echte Erleichterung.“ Manchmal aber entwickelt sich der Wind zum Sturm: „Dann sieht man, wie die Wellen anrollen und die Bäume sich biegen.“ Die Touristenboote fahren eher vormittags und mittags, um dem Abendwind zu entgehen.

„Von Menschen gemacht“

Jesus und seine Jünger sind am Abend auf dem See und geraten in den Sturm. Die Jünger bekommen Todesangst, wie die beiden alten Damen. Doch Jesus schläft und muss geweckt werden. „Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ werfen die Jünger ihm vor. Jesus beruhigt Wind und Wellen. Doch er weist die Jünger auch zurecht: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“

Der Wind pfeift uns um die Ohren und Jesus schläft. Dieses Gefühl könnten Schnabel und seine Mitbrüder im Moment in Israel und Gaza auch haben. Doch der Abt winkt ab: Die aktuelle Lage hat für ihn nichts mit Gott zu tun. „Es ist moralisch zu anspruchslos, Gott die Schuld zu geben“, sagt der Benediktiner. „Wir reden von einem Leid, das zu hundert Prozent von Menschen gemacht wurde.“ Denn die Freiheit, die Gott den Menschen gegeben hat, könne schöpferisch und im Sinne der Menschen genutzt werden: „Sie hat aber auch eine zerstörerische Kraft.“ Und diese breche sich gerade Bahn: „Wir sind umgeben von einem Ozean aus Leid.“

Kann man da nicht das Gefühl bekommen, dass Gott untätig zuschaut und die Rufe seiner Kinder nicht hört? „Beides ist wahr: Es gibt diese Erfahrung von Verlassenheit, aber auch von Momenten der Geborgenheit“, sagt Schnabel. „Auch angesichts der Unmenschlichkeit gibt es menschlich positive Erfahrungen.“ Als die Benediktiner zusammen mit Studierenden zehn Tage nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel 24 Stunden lang in der Klosterkirche die Psalmen beteten, kam am Abend eine Gruppe Juden in die Kirche. „Sie sagten: ‚Das gibt uns Trost‘“, berichtet der Abt.

„Werdet erwachsen!“

Für ihn ist die Stelle vom Sturm auf dem See eine Geschichte, die vom Kindsein und Erwachsenwerden erzählt. „Wir sind Kinder Gottes und dürfen darauf vertrauen, dass er immer da ist und uns liebt.“ Gleichzeitig wolle Gott uns nicht in der Kindschaft halten, sagt der Benediktiner: „Wir sollen Erwachsene Gottes und nicht infantil, nicht kindisch sein.“

In der Bibelstelle zeigt sich das so: Wie Kinder, die plötzlich aus einem Albtraum erwachen und zu ihren Eltern flüchten, wecken die Jünger Jesus. Jesus hilft zwar, weist sie aber auch zurecht. Seine Botschaft: „Werdet erwachsen. Übernehmt Verantwortung!“ Gott will seine Kinder in die Freiheit führen, die gleichzeitig die Verantwortung mit sich bringt, selbst aktiv zu werden und das Leben zu gestalten. Dazu gehören eben auch die schwierigen Seiten. „Krankheit, Verlust, Intrigen – das gehört zum Menschsein dazu. Niemand kann vor diesen Erfahrungen fliehen“, sagt Abt Nikodemus.

In der aktuellen Lage in Israel heißt das für die Mönche vom Berg Zion: In ihren Gebeten bringen sie das unsägliche Leid vor Gott. Alles könne man vor Gott werfen und – wie die Jünger – klagen, auch schreien oder schweigen. „Wir sollten noch viel emotionaler beten“, sagt Abt Nikodemus. Die Psalmen, die die Mönche wie früher Jesus und seine Jünger beten, kennen die ganzen menschlichen Gemütsverfassungen bis hin zur Gottverlassenheit.

Sich wie ein Kind an Gott, den liebenden Vater zu wenden, ist das eine. Das andere ist, erwachsen zu reagieren. „Wir können nicht dauerhaft 24 Stunden beten, sondern müssen auch in Treue unseren Weg gehen und in den Alltag zurückkehren“, sagt Abt Nikodemus. Alltag heißt für ihn, sich nicht auf eine Seite zu schlagen, sondern gegen den Hass und die Entmenschlichung zu kämpfen. Und Zeichen der Hoffnung zu setzen: Obwohl die Abtei wegen der ausbleibenden Besucher eigentlich fast alle Angestellten entlassen müsste, tut sie es nicht. Damit die Mitarbeiter und ihre Familien in all dem Schrecken nicht auch noch zu Bettlern werden.

Ulrich Waschki