Evangelium
In jener Zeit ging Jesus an das andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See von Tiberias heißt. Eine große Menschenmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. Das Pascha, das Fest der Juden, war nahe.
Als Jesus aufblickte und sah, dass so viele Menschen zu ihm kamen, fragte er Philippus: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben? Das sagte er aber nur, um ihn auf die Probe zu stellen; denn er selbst wusste, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stück bekommen soll.
Einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagte zu ihm: Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele? Jesus sagte: Lasst die Leute sich setzen! Es gab dort nämlich viel Gras. Da setzten sie sich; es waren etwa fünftausend Männer. Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, so viel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen.
Als die Menge satt geworden war, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt! Sie sammelten und füllten zwölf Körbe mit den Brocken, die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren.
Als die Menschen das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen. Daher zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.
Johannesevangelium 6,1–15
Die Brockensammler von Bethel
Es begann mit einer Tasse ohne Henkel. Sie lag auf der Straße herum, als Müll weggeworfen. Karl Schnitger störte das. Er soll sich sogar darüber aufgeregt haben, heißt es. Nicht, weil die Tasse nicht ordentlich entsorgt auf einer Müllhalde lag, sondern darüber, dass jemand sie überhaupt weggeworfen hat. Schließlich war sie noch brauchbar, auch ohne Henkel.
Das war gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Seit der Industrialisierung konnten viele Konsumgüter schneller und billiger produziert werden – und entsprechend wurden sie leichter weggeworfen und durch neue ersetzt. Aber Schnitger ärgerte das. Er lebte damals in Bethel bei Bielefeld. Und brachte den Leiter der Anstalt für Menschen mit epileptischen Erkrankungen, den evangelischen Pastor Friedrich von Bodelschwingh, auf die Idee, die Brockensammlung zu gründen, getreu dem Wort Jesu aus dem Johannesevangelium: „Sammelt die übriggebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt.“
Seitdem wurden in Bethel nicht nur Kranke versorgt, sondern auch gebrauchte und weggeworfene Dinge recycelt und repariert. „Es wurde alles gesammelt, Metalle, Keramik, aber zum Beispiel auch Asche, die wurde zum Silberputzen gebraucht. Oder Zigarettenstummel. Aus dem restlichen Tabak wurden neue Zigaretten hergestellt“, sagt Elfi Reuter-Korzonnek. Sie leitet heute die Abteilung Einzelhandel in der Brockensammlung.
Heute werden in Bethel noch Musikinstrumente und Fahrräder repariert. Und die frühere Brockensammlung ist zu einem Secondhand-Kaufhaus geworden. Hier kann man gebrauchte Kleidung und Haushaltsartikel kaufen, die günstig sind, aber nicht so billig, wie sich das manche wünschen.
„Wir wollen kein T-Shirt für einen Euro anbieten“, sagt Reuter-Korzonnek mit Blick auf die Konkurrenz vieler Modeketten. Das EU-Parlament schätzt, dass die Europäer im Durchschnitt jedes Jahr fast 26 Kilogramm Textilien kaufen und etwa elf Kilogramm davon wegwerfen. Dabei werden für die Herstellung eines einzigen Baumwoll-T-Shirts 2700 Liter Wasser benötigt. Beim Anbau der Baumwolle und beim Färben der Stoffe werden zudem große Mengen an Chemikalien verbraucht. Viel Arbeit und viele Ressourcen also für eine oft sehr kurze Nutzungszeit der Textilien.
Die Bielefelder Brockensammlung erhält täglich zweieinhalb Tonnen Spenden: Kleidung, Haushaltsartikel und Kleingeräte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sortieren und prüfen die Gebrauchtwaren und legen einen Preis fest. 40 Prozent der gespendeten Kleidung kann noch einmal verkauft werden. Dabei geht es nicht darum, ein Stück möglichst billig anzubieten, wenngleich es nicht teuer sein soll. „Für uns ist die Frage, was ein Teil wert ist“, sagt Reuter-Korzonnek.
Die Essensretter vom Supermarkt
Daniela Rehmann kostet das Gemüse in ihrem Kochtopf. Geschmacklich findet sie den Pak Choi eher unspektakulär. Eigentlich wollte sie für sich und ihren Mann etwas anderes zum Abendessen kochen als diesen asiatischen Kohl. Doch am Nachmittag erhielt sie eine Nachricht in ihrer Chatgruppe.
Rehmann gehört zu einer Initiative von Essensrettern in Osnabrück. Eher zufällig hat sie von der Gruppe erfahren. Doch das Anliegen, Lebensmittel vor der Mülltonne zu retten, war ihr sympathisch. „Ich schmeiße ungern etwas weg“, sagt sie. Das habe mit ihrem Großwerden zu tun. Sie wuchs mit drei Geschwistern auf, ihr Vater hatte nicht immer Arbeit. „Und meine Mutter hat es geschafft, uns zu zeigen, dass man auch mit wenig etwas zaubern kann“, sagt Rehmann. Und erinnert sich, dass es Reibekuchen für sie und die Nachbarskinder gab, wenn die Kartoffeln einmal günstig waren.
Statt Lebensmittel wegzuwerfen, kocht Rehmann gerne mit dem, was sie gerade hat – und hat sich den Essensrettern angeschlossen. In ihrer Chatgruppe sind etwa 20 Haushalte miteinander vernetzt. Ihr Prinzip: Sie sammeln und verbrauchen das, was die Supermärkte normalerweise im Müll entsorgen müssen, was auch für die Tafeln und Suppenküchen nicht mehr nutzbar ist oder dort nicht mehr gebraucht wird.
Dazu holt jemand die Lebensmittel aus den Supermärkten ab, andere kommen dazu und gemeinsam teilen sie auf, was noch essbar und nicht verdorben ist. Wenige Male hat Rehmann erlebt, dass Leute nur bestimmte Lebensmittel mitnehmen wollten, andere jedoch abgelehnt haben. Dass sei aber nicht der Sinn und Zweck dieser Gruppe, sagt sie. „Auch wenn man weiß, dass man eigentlich nur zwei Bananen braucht, nimmt man trotzdem sechs und kann sich dann überlegen, was man damit macht. Das Prinzip ist ja, dass die Lebensmittel wirklich gerettet werden sollen.“
Es bereichert die Küche
Außerdem habe man Verantwortung für die Schöpfung. In die Lebensmittel, „ist ja mal Zeit und Energie geflossen“, sagt Rehmann. „Die Arbeit oder das Wasser, das dafür gebraucht wurde, das soll nicht verschwendet werden“, sagt sie.
Verbraucht werden müssen die Nahrungsmittel dann oft sehr schnell, wie Brot, das schon einige Tage alt ist oder schrumpeliges Gemüse. Manches, wie beispielsweise Pilze, kann nur noch gekocht verzehrt werden. Ist das also nicht vor allem eine Einschränkung? Schließlich kann man nicht essen, was man gerade möchte. Rehmann sagt: „Ich sehe es als Bereicherung.“ Schließlich kann man durch das Internet auch einen Blick in die Rezepte anderer Länder werfen und werde inspiriert, sagt sie.
Rehmann nennt es zaubern. In ihrer Küche findet sie immer Zutaten, mit denen sie das gerettete Essen kombinieren kann. Aus dem Pak Choi, den sie bis zu diesem Tag noch nicht kannte, hat sie mit asiatischen Gewürzen eine Gemüsepfanne gekocht. Der zunächst fade Kohl wurde zu einer leckeren Mahlzeit. Rehmann sagt: „Das schmeckte gut, war grün und gesund.“
Barbara Dreiling