Užupis gehörte zum jüdischen Viertel, bevor die Nazis die jüdische Bevölkerung in Ghettos zwangen, deportierten und ermordeten. Nach dem Krieg war Užupis entvölkert und in der Sowjetzeit eines der heruntergekommensten Viertel der Stadt. Nach der Unabhängigkeit Litauens bildete sich dort eine Künstlerkolonie. Sie bauten den Stadtteil langsam wieder auf und riefen die Republik Užupis aus, mit eigener Währung, gültig am 1. April, mit eigenem Parlament, das Gasthaus am Fluss, und mit eigener Verfassung, unter anderem auch in Jiddisch und Hebräisch übersetzt. Hier ist eine Kostprobe davon: „Jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren. Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, nicht berühmt oder bekannt zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, manchmal nicht zu wissen, ob er Verpflichtungen hat. Jeder Mensch hat das Recht, zu zweifeln, jedoch ist dies keine Pflicht. Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, unglücklich zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, seine Nichtigkeit und seine Größe zu begreifen.“ So lauten nur einige Artikel der Verfassung von Užupis.
Die Jesusstatue dort finde ich ganz passend. Zum einen, weil Jesus in den drei Jahren seines Wirkens ständig unterwegs war. Er lief von Nazareth nach Jerusalem, vom Meer zu den Bergen, am Jordan und durch die Wüste, um den See Genezareth und übers Wasser. Rucksack und Isomatte hätte er gebrauchen können. Zum anderen denke ich, dass er ganz gern ein Bürger der Republik Užupis gewesen wäre. Sie ist zwar nicht das Himmelreich! Die Verfassung geht aber in die richtige Richtung, soweit das auf der Erde möglich ist. Jesus hätte auf der Durchreise bestimmt seinen Segen dazu gegeben. Inzwischen ist Užupis ein schickes Viertel, viele Airbnbs, die Mieten steigen. Für die freien Künste ist das bald wieder viel zu teuer. Aber die kreative und soziale Energie hinterlässt trotzdem ihre Spuren und wandert vielleicht einfach weiter an den nächsten Ort.
Margit Binz, Pfarrerin für Ökumene im Evangelischen Dekanat Odenwald