Wenn Chanukka und Weihnachten – so wie in diesem Jahr – aufeinander fallen, dann erwarten wir eine geballte geistige Kraft, die von diesen Tagen ausgeht. Doch das kann nicht aus sich heraus geschehen.
Gerade Chanukka ist ein Fest der Hoffnung. An Chanukka feiern Juden, dass entgegen einer unmöglich erscheinenden Realität, nämlich der Besatzung Israels und des Tempels in Jerusalem durch das übermächtige Seleukidenreich, der Tempel doch noch wieder geweiht werden konnte. Die Anfänge des Christentums, waren die Blütezeit des Judentums. Der Blick des Christentums auf das Judentum war in der Folge lange Zeit von einem tiefen Antijudaismus geprägt, der bis in die Vernichtungsideologie der Nationalsozialisten wirkte. Erst das zweite Vatikanische Konzil 1965 veränderte das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum – in der Erklärung "Nostra Aetate", in unserer Zeit. Das Konzil war wegweisend für konfessionsübergreifende "Theologie nach Auschwitz".
Was an dieser Entwicklung schon deutlich wird: Diese Beziehung ist nie selbstverständlich. Sie ist es so wenig, wie die geistige Kraft zweier aufeinander fallender Feiertage. Gerade in Zeit gesellschaftlicher Krisen und politischer Umbrüche, wie wir sie aktuell haben, muss dieses Verhältnis gelebt werden. Auch in säkularen Gesellschaften ist es an den Glaubensgemeinschaften, Orientierung zu geben. Sie sollen die Richtung weisen, Debatten prägen und sie mäßigen.
Wir wollen jedem Einzelnen Halt geben, und das große Ganze davor schützen, was der Philosoph und Politikwissenschaftler Eric Voegelin "politische Religion" genannt hat: Fanatismus und Erlösungsfantasie, Extremismus und Totalitarismus.
Christen und Juden haben dabei viele gemeinsame Herausforderungen, ganz aktuell auch Dinge wie die Debatten um Sterbehilfe oder Organspende. Es ist wichtig, dass die Menschen das Gefühl bekommen, dass Glaubensgemeinschaften in entscheidenden gesellschaftlichen Fragen nicht nur mahnen, sondern einen Beitrag leisten können zur Debatte, der diese Fragen einend lösen kann. Nicht um politische Probleme zu lösen, aber um der Enge der materiellen Welt zuweilen entkommen zu können. Es sollte dieser Gedanke sein, der uns in der Chanukka- und Weihnachtszeit leitet.
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden