Würzburg (POW) An die erste Deportation von Jüdinnen und Juden aus Würzburg am 27. November 1941 haben am Mittwochabend, 27. November, die Gemeinschaft Sant’Egidio und die Israelitische Kultusgemeinde erinnert. Seit dem Jahr 2000 findet diese Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche statt. Mehrere hundert Personen zogen von der Gedenkstätte „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ am Hauptbahnhof schweigend durch die Innenstadt zum Innenhof des Rathauses. Einige trugen Schilder mit den Namen der nationalsozialistischen Konzentrationslager, in denen jüdische Menschen aus Unterfranken getötet wurden.
„Es ist ein beklemmendes Gefühl, Repräsentant der Stadt zu sein, die damals für Jüdinnen und Juden nicht den Schutz geboten hat, den sie hätte ausüben müssen“, erklärte Bürgermeister Martin Heilig in seiner Ansprache im Rathaushof. Über 4000 jüdische Frauen und Männer hätten bis 1945 in der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten ihr Leben verloren. Wer heute die Listen sehe, in der mit deutscher Genauigkeit und Effizienz Namen, Adressen und Besitz der Deportierten eingetragen wurden, verstehe schnell, was die Historikerin und Philosophin Hannah Arendt mit der „Banalität des Bösen“ bezeichne. Insgesamt wurden zwischen 1941 und 1943 2063 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Würzburg in die osteuropäischen Vernichtungslager verschleppt. Nur 41 Personen überlebten. Zur Mahnung zitierte Heilig den Auschwitz-Überlebenden Primo Levi: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte, Jüdinnen und Juden wüssten, wie einsam der Kampf ums Überleben sein könne. Die erste Deportation der von den Machthabern zuvor in Judenhäusern eng eingepferchten Männer, Frauen, Kinder und Jugendlichen vor 83 Jahren „kann nicht lautlos passiert sein“. Von Protesten der Würzburger Bevölkerung oder einem Einschreiten dagegen sei nichts bekannt. Er dankte der Gemeinschaft Sant'Egidio für das Organisieren des Gedenkens und allen Teilnehmenden, die dadurch die Zivilcourage zeigten, die aktuell notwendiger denn je sei.
Pfarrerin Angelika Wagner von der Gemeinschaft Sant’Egidio sagte, dass sich Kriege aktuell bedrohlich ausweiteten – in der Ukraine wie im Nahen Osten. „Mit jedem Kind, das getötet wird, stirbt ein Stück Menschlichkeit.“ Menschliche Beziehung durchbreche den Kreislauf der Gewalt, betonte sie. Das sei gerade in Zeiten von zunehmendem Hass in der Öffentlichkeit und den sozialen Medien eine wichtige Erkenntnis. „Alles kann sich ändern, wenn wir uns dem Frieden verschreiben.“ Es sei daher wichtig, dass in Würzburg an verschiedenen Schulen eine Erinnerungskultur gepflegt werde, zum Beispiel mit einem Gedächtnisweg zur Deportation oder durch eine App, die Informationen zu den Menschen hinter den Stolpersteinen biete.
Ähnlich argumentierte Clara Kendlbacher von „Jugend für den Frieden“, der Jugendorganisation von Sant'Egidio. Es sei notwendig, an die grausamen Taten der Nationalsozialisten zu erinnern – gerade heute, wo Rechtsextremismus auch bei jungen Menschen Zulauf finde und Fake News an der Tagesordnung seien. „Lasst uns eine bessere Welt aufbauen!“, appellierte Kendlbacher. Dietrich Bonhoeffer, der in Folge seines Widerstands gegen die Machthaber 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet wurde, habe betont: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“ Wie menschenverachtend die Nationalsozialisten mit jüdischen Menschen umgingen, verdeutlichte Noah Wunderlich mit dem Bericht der Auschwitz-Überlebenden Cordelia Edvardson von der Selektion durch den KZ-Arzt Josef Mengele.
In seinem Grußwort am „DenkOrt" vor dem Hauptbahnhof hob Weihbischof Paul Reder hervor, dass Erinnern mehr sei als ein Blick in die Geschichtsbücher. „Wir erinnern uns heute als gemeinsame Verpflichtung, die Würde jedes Menschen zu wahren. Darum danke ich Ihnen, dass Sie gekommen sind und dieser Erinnerung ein Gesicht geben und – selbst im Schweigen auf dem gemeinsamen Weg – eine Stimme.“
Als Vertreter der evangelisch-lutherischen Kirche sprach Pfarrer Daniel Fenske. Es sei wichtig, gegen das Vergessen einzutreten. Nur wer sich seiner schuldhaften Geschichte stelle, könne aus der Vergangenheit lernen. Es sei daher zentral, die Namen und Ereignisse zu benennen und die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. „,Nie wieder‘ ist heute dringender denn je.“ Es sei auch wichtig, sich von einer Theologie zu distanzieren, die das Judentum als Religion zurückgestuft habe, um das Christentum heller strahlen zu lassen. Nicht umsonst betone Paulus im Römerbrief: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“
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Stichwort: Deportation der Würzburger Juden am 27. November 1941
Am 27. November 1941 wurde die erste größere Gruppe von Juden aus Würzburg deportiert. Seit dem 1. September 1941 war die Polizeiverordnung der nationalsozialistischen Behörden in Kraft, wonach Juden in der Öffentlichkeit mit einem Judenstern gekennzeichnet sein mussten. In Würzburg wurde ein Merkblatt bezüglich der „Evakuierung“ an die Betroffenen verteilt. Darin wurde ihnen mitgeteilt, dass ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt ist und sie in einer Erklärung eine Aufstellung ihres Vermögens anzugeben hatten. Sie mussten sich mit Marschverpflegung ausrüsten, die für mindestens drei Wochen ausreichend sein sollte. Ein Transportkoffer mit maximal 50 Kilogramm Gewicht sollte zum Güterbahnhof Aumühle gebracht werden; Transportkosten von 60 Reichsmark waren zu zahlen. Die Nazibehörden zögerten nicht, Anweisungen zu geben, aus denen zu ahnen war, dass die Empfänger des „Merkblattes“ ihre Würzburger Heimat wohl nicht wiedersehen würden: Leitungen waren abzustellen, Gas- und Lichtrechnungen sollten bei den städtischen Werken bezahlt werden, die Wohnungsschlüssel mussten der Polizei übergeben werden. In der Stadthalle, die auch Schrannenhalle genannt wurde und am heutigen Theaterplatz stand, hatten sich die 202 Männer, Frauen und Kinder einzufinden. Sie wurden genauestens durchsucht; jegliches Bargeld und Wertgegenstände wurden ihnen abgenommen. Dann wurden sie ins Sammellager Nürnberg-Langwasser und von dort nach Schirotawa bei Riga gebracht. Ihr weiteres Schicksal kann man nicht rekonstruieren. Es wird vermutet, dass sie Opfer der zwischen Februar und August 1942 in Riga durchgeführten Erschießungskommandos der Sicherheitspolizei wurden.
mh (POW)
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