Die Marienkapelle auf der Nordseite des Würzburger Marktplatzes ist heute eine Nebenkirche der Pfarreien Dom und Neumünster im Besitz der Marienkapellenstiftung. In früheren Zeiten jedoch war sie der Kristallisationspunkt städtischen Engagements gegen die Dominanz von Bischof, Stiften und Klöstern. Sie gilt als Höhepunkt spätgotischer Baukunst in Unterfranken.
Die Kapelle steht in direktem Zusammenhang mit der Vernichtung der jüdischen Gemeinde Würzburgs. 1349 wurden die Juden Würzburgs grausam ermordet, die Reste des Judenviertels im 15. Jahrhundert geschleift und ein Marktplatz angelegt. Als Zeichen der Entsühnung und des Siegs des Christentums baute man an der Stelle der Synagoge eine hölzerne Marienkapelle. Bischof Gerhard von Schwarzburg (1372-1400) legte 1377 den Grundstein für den Chor des heutigen Steinbaus, der 1392 geweiht wurde.
Den Weiterbau der Kirche übernahm jedoch die Stadt. Meister Weltz, Eberhard Friedeberger, Linhard Strohmaier und Hans von Königshofen bauten bis 1479 an Langhaus und Turm. 1490 erhielt Tilman Riemenschneider den Auftrag, den Skulpturenschmuck zu fertigen. Er setzte den durch die Adam- und Eva-Figuren dargestellten Sündenfall in Beziehung zu den Ereignissen der Menschwerdung und der Auferstehung, worüber sich die Schar der Apostel mit dem Erlöser Christus reiht. 1711-1713 errichtete Joseph Greising eine Kupfer gedeckte Turmhaube, auf welcher Bischof Johann Philipp von Greifenclau eine Maria-Immaculata Figur mit doppelter Schauseite aus vergoldetem Kupfer anbringen ließ. Den Entwurf lieferte Jakob von der Auwera. Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte eine rigorose Außenrenovierung, in deren Gefolge die heutige gotische Turmspitze gestaltet wurde. Neugotische Werke ersetzten die Innenausstattung. Der Luftangriff auf Würzburg 1945 setzte der Marienkapelle stark zu und erst 1962 konnte Bischof Joseph Stangl die wiederhergestellte Kirche erneut weihen.
An den steilen, langgesteckten Chor fügt sich nach Westen eine dreischiffige Halle an. Auf der Südseite ist zwischen Chor und Langhaus ein Treppenturm, der Cyriakusturm, mit der gleichnamigen Glocke eingefügt. Ein weiterer Treppenturm steht im Westen zwischen Strebepfeiler und nördlichem Seitenschiff. Eine horizontale Maßwerkgalerie schließt den Bau ab. Im 19. Jahrhundert wurde der Giebel der Westfassade mit einer Maßwerkrosette versehen. Die Tympana der drei Portale entstanden im 15. Jahrhundert. Sie zeigen Maria bei der Menschwerdung Gottes, ihre Aufnahme und Verherrlichung im Himmel sowie als Fürbitterin beim Jüngsten Gericht. Am reichsten ausgestattet ist das Südportal, dessen Tympanon die Krönung Marias zeigt. Rechts und links davon befinden sich Kopien von Riemenschneiders Adam und Eva unter prachtvollen Baldachinen. Die Originale sind zusammen mit den ursprünglichen Baldachinfiguren Riemenschneiders im Mainfränkischen Museum zu sehen. Das Tympanon des Westportals zeigt das Weltgericht mit Christus als Richter auf dem Regenbogen. Am Portal-Mittelpfeiler steht die Kopie einer Marienstatue, deren Original (um 1430) im Innenraum zu finden ist. Eine interessante Darstellung der Verkündigung an Maria sieht man auf dem Tympanon des Nordportals: Der Hauch des Geistes geht als gedrehter Schlauch vom Mund Gott Vaters zum linken Ohr Marias und endet mit der Taube des Heiligen Geistes. Auf diesem Strahl eilt Jesus als kleines Kind bäuchlings zu Maria. Die Darstellung symbolisiert die Empfängnis durch das Hören der Worte.
Den Innenraum überspannen im Mittelschiff ein Netzgewölbe und in den Seitenschiffen Kreuzrippengewölbe. Die Konsolen und Schlusssteine des Chors gelten mit den drei Portaltympana und den Figurenkonsolen des Langhauses als bedeutendste Bauplastiken des „Weichen Stils" in Unterfranken. Für die 1945 verbrannten Figuren stehen auf den Konsolen heute Apostelfiguren zeitgenössischer Künstler, die Bürger, Verbände und Firmen gestiftet haben.
Im Langhaus befindet sich über dem Altar des südlichen Seitenschiffs das Relief mit Christus an einem Astkreuz (um 1400). Die Reliquien des Hl. Makarius liegen in einem Silberschrein auf dem Altar. Ein bedeutendes Sandsteinrelief des Marientodes (um 1400) ist in der südlichen Langhauswand eingelassen. Eine Gedenktafel für den 1753 in der Marienkapelle bestatteten Baumeister Balthasar Neumann ist am Pfeiler zum Mittelschiff angebracht. Von Riemenschneider gefertigt wurde 1502-1504 das Grabdenkmal des Ritters Konrad von Schaumberg rechts vom Westportal. Die Silbermadonna der Bürgersodalität über dem Altar an der Stirnwand schuf der Augsburger Goldschmied Johannes Kilian (um 1685).
(Nach Wolfgang Schneider)